Erdfest in Erzsebetpuszta, Ungarn
Die Erdfeste haben seit 2019 bei mir persönlich immer mehr gegriffen und offenbar auch allgemein in Deutschland und international. Alles hängt für mich mit dem Wort 'Erdfest' zusammen. Das ist der Haken, an dem ich festsitze, seit ich den ersten Flyer in der Hand hatte. 'Erdfest' hat mir gefallen, da hatte ich den Flyer noch gar nicht geöffnet. Was für eine Kunst, so ein Wort zu finden, egal wie groß die Vision ist, die damals ja erst werden sollte. Das Wort hat für mich inzwischen erstaunlich viele Bedeutungen bekommen. Zum Beispiel sollte ich mal drüber nachdenken, welche Kraft mich auf meinem Platz hält. Ja, genau die stete Kraft, die meine beiden Beine am Boden hält oder meinen Po am Stuhl kleben lässt. Genau der Kraft sollte ich danken, dieser universellen Schwerkraft, von der unsere Wissenschaftler genau wissen, wie sie wirkt – aber letzten Endes nicht wissen, was es ist und wo sie herkommt. Ich habe mich gleich eifrig bedankt, damit ich nicht kopfüber in den Weltraum falle wie bei Harry Potter. Genau diese Kraft macht mich ERDFEST. Diese Auslegung ist natürlich weit entfernt von der Geselligkeit, die mit Erdfest eigentlich gemeint ist. Macht aber nichts.
Dieses Jahr hatte ich drei Leute vom örtlichen Tierschutzverein in Nagyatad eingeladen, Ivett, Dia, Tamasz und Petra, Anja und Laszlo von der Baufirma auch aus Nagyátad, der ich mein neues Hausdach verdanke und auch sonst noch einiges. Sie halfen mir den großen Rauchquarz ins Freie zu tragen unter die Thuje, damit er wirklich auf richtiger Erde liegt. Die Thuje ist sehr alt und steht wie eine große grüne Fackel direkt vor dem Haus. Die Thuje hat gewiss tiefe Wurzeln, aber sie bekommt trotzdem braune Stellen, weil seit Jahren das Grundwasser sinkt. Ich wässere sie den ganzen Sommer und hoffe, dass sie durchhält. Das Wasser kann nicht nur sie brauchen, sondern der ganze Garten und der ganze Ort. Die Elementarwesen haben da ein Verteilersystem, in das ich nicht eingreife.
Die Thuje und der Kristall sind Verstärker für die Erdfest-Kraft, die wir nicht genug loben und preisen können. Die Andacht war kurz und die Heiligkeit hielt sich in Grenzen, es lief ein Fußballspiel. So holte ich meinen Hausaltar, den Laptop, auf die Veranda und wir sahen das Erdfest der Fußballer. Ich meine zweiundzwanzig Beine, die auf dem Rasen rasen, sind doch auch irgendwie ein Erdfest.
Überhaupt ist jeder Tag im Garten ein Erdfest. Durch Corona bin ich zwangsläufig zu einer überzeugten Gärtnerin geworden. Jeden Tag flüstert mir Gaia ein, was zu tun ist. Nicht zu viel und nicht zu wenig. Heute habe ich die großen Hummeln beobachtet und fotografiert, die in warmen Sommernächten nicht in ihr Erdloch fliegen, sondern in den Blüten der Stockrosen übernachten. Jede Hummel bekommt eine Blüte. Sie ergreifen den großen pelzigen Stempel in der Mitte wie ein riesiges Kissen. Am Morgen brauchen sie dann ein bisschen, um ihre Betriebstemperatur hochzufahren. Sie putzen sich gemächlich und bewegen die Beinchen, bevor sie zu Brummen beginnen. Wenn die Sonne auf sie trifft, fliegen sie davon und sind schon voller Pollen. Gaia flüstert mir ins Ohr, sie brummen nicht als Vorsichtsmaßnahme, sondern vor Extase, aus Lebenslust. Könnten wir Menschen nicht auch jeden Tag glücklich vor uns hin summen, wenigstens ab und zu, ein bisschen?
Heute habe ich das erste Mal im Leben Zucchiniblüten gegessen, meine eigenen Zucchiniblüten. Ich brachte es immer nicht fertig diese wunderbar gelben Gebilde in die Pfanne zu werfen. Ich wusste auch nicht, dass ein und dieselbe Zucchinipflanze männliche und weibliche Blüten trägt. Nur die weiblichen Blüten wachsen zu Zucchini heran. Die männlichen Prachtexemplare habe ich deshalb mit gutem Gewissen geerntet. Sie waren köstlich. Jede Mahlzeit ist ein Erdfest. Ich höre mich schon an wie eine Werbetexterin. Trotzdem werde ich dieser Spur weiter folgen.
Was ich heute zum Erdfest 2021 beschreibe sind Augenblicke, Winzigkeiten, Momente. Sie zu formulieren dauert eindeutig länger als sie zu erleben. Während ich schreibe, erlebe ich außerdem nichts Neues. Mit einer Beschreibung dehne und knete ich aber die Zeit und genieße zum Beispiel das Erdfest einer Hummel. Wer diesen Text liest, fällt ebenfalls ein bisschen aus der Zeit, das ist meine Absicht. Ich falle gerne aus der Zeit. Naturzeit hat andere Eigenschaften als gemessene Zeit. Auch in diesem Sinn lassen sich Erdfeste interpretieren.
Ich freue mich auf nächstes Jahr. Nach einem Erdfest ist vor einem Erdfest.
Edelgard Stadler
Wer steht hinter diesem Erdfest?
Labod
7551
Ungarn